Was sieht das Auge zuerst? Die entfesselte und Formen zerstörende Malerei oder die Wiedergabe sexueller Darstellungen? Es ist genau diese Ambivalenz für die Wahrnehmung, die Simon Adam Peters Gemälde auszeichnen. Sie haben sich mit jedem Farbpigment und Pinselstrich und jeder Leinwandfaser der Sexualität verschrieben. Junge Männer einsam auf dem Bett liegend mit erigierten Penis, Männer sich küssend, beim Geschlechtstakt, beim Oralverkehr, vor dem Spiegel posierend, sich zärtlich anfassend. Alles in Formensprache delikat artikuliert, aber Porno ist es nicht. Porno ist die Scharfstellung des Bildes in HD-Qualität zur besseren körperlichen Aufgeilung des Betrachters. Diese Hilfestellung leisten die Bilder Peters nicht. Sie erregen den Kopf des Betrachters anders. Keine seiner Kompositionen bilden Stereotype ab. Die Figuren, ihre Interaktionen sind derart individuell und überraschend angelegt, das sie dem Leben zu entstammen scheinen und nicht nach langweiligen Vorlagen aus Pornomagazinen oder Filmen abgemalt sind, die auch keinen mehr provozieren können – es sei denn man ist selbst langweilig.
Peter drückt in seinen Bildern, obgleich sie sich explizit in den Hemisphären homosexueller Leidenschaften und Begierden bewegen, existenziell Allgemeingültiges aus und schafft eine emphatische Projektionsfläche, die vollkommen unabhängig von sexuellen Ausrichtungen und Interessen ist. Dabei sind Stil und Thema deckungsgleich; denn nicht nur die dargestellten Männer, sondern die Malerei selbst befindet sich in einem permanenten ekstatischen Erregungszustand. Und nicht immer gelingt es, diese Spannung bis zur Vollendung des Bildes aufrechtzuerhalten. Dann kommt es zum befreienden weil formauflösenden Ausbruch. Farbe wird zu Sperma, läuft unkontrolliert die Leinwand runter, bildet Kleckse, löscht Gesichter und Körperteile aus. Das Bettlaken als klassische Unterlage für sexuelle Bedürfnisse - hier ist es die Leinwand, die als klassische Trägerfläche für Bilder beschmutzt wird. Dünne, breite Pinsel malen. Zärtlich legen sie Konturlinien an, schaffen Physiognomien, deuten Innenräume an, doch irgendwann ist es vorbei mit der Triebunterdrückung beim kreativen Akt des Malens. Die Farbe muss raus. Und dann schießt sie raus.
Peter verhandelt in seinen Bildern, ob er es will oder nicht, den uralten heidnisch griechischen Antagonismus zwischen Apollon und Dionysos. Auf der einen Seite die der Lichtseite zugewandte vernunftorientierte Formwahrung des Individuums, auf der anderen Seite die blinde rauschhafte und zugleich lustbringende Formzerstörung des Individuums. Dabei standen die Bildkünste schon immer erfolgreich unter dem Schutz des Musengottes Apollons. Genauso alt ist wohl der kreative Reiz, Dionysos aus seinem angestammten Reich der Musik, in der sich die Individuen in eine wilde Tanzhorde auflösen, in diese apollinische Hoheitszone einzulassen. Peter geht das Risiko ein – im Wissen dass bei vollständiger Entfaltung der dionysischen Kräfte seine Bilder in Stücke zerfetzt werden würden. Doch bislang ist ihm der Balanceakt zwischen diesen beiden Mächten überaus eindrucksvoll geglückt. Bleibt die Frage, wie lange das Betrachterauge den malerischen Rausch Peters standhält und ob es sich stattdessen und aus heimeliger Wohnzimmergemütlichkeit apollinische HD-Qualität zurückwünscht. Hoffen wir nie. (Marcus Andrew Hurttig)

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