Susanne Kühn

Papierarbeiten
Malerei
Text

Zimmer mit Aussicht: Die Kunst von Susanne Kühn
von Felicity Lunn (in: Susanne Kühn, Hatje Cantz Verlag 2007) 

In den Bildern von Susanne Kühn finden sich sämtliche Elemente traditioneller Landschaftsgemälde oder Interieurs wieder: dichte Wälder, detailgetreu dargestelltes Unterholz, glitzernde Wasserfälle, intensives Mondlicht und Wanderer in den Landschaften, Fenster, Säulen, Treppen und Sitzarrangements in den Interieurs. Schnell wird jedoch klar, dass diese Orte, ob drinnen oder draußen, mit einer unberechenbaren Energie aufgeladen sind, die die gesamte Szenerie in unaufhörliche Bewegung versetzt. Bäume stürzen ineinander, Teile von Türen oder Mauern treiben vorbei, einzelne Gestalten schauen zu, während es in unharmonischen, irrealen Umgebungen Nacht wird.
Susanne Kühn malt zwar primär realistisch, dennoch stellen sich uns definitiv keine realen Wälder oder Räume dar. Obwohl streng konstruiert und künstlich, sind diese Bilder zu komplex, um sie in Bühnenbilder zu übersetzen: mit ihrem stark epischen Charakter sind sie eher Fantasien der Gegenwart, die Elemente aus verschiedenen Zeiten und Kulturen auf magische Weise an einem Ort vereinen.
Einige Charakteristiken von Kühns Bildern fallen dem, Betrachter sofort ins Auge: kräftige, klare Farben, deutliche Kontraste von Licht und Schatten und das Nebeneinander von fast archetypischen Elementen und Objekten, die eher aus ihrer persönlichen Geschichte zu stammen scheinen. Beides zusammen dient dem vorrangigen Ziel der Künstlerin, eine räumliche Erfahrung zu schaffen, die in gleichem Maße berauschend wie verwirrend ist. Als Betrachtende bekommen wir den Eindruck, zufällig ins Bild gelangt zu sein - so wie Alice durch den Spiegel ins Wunderland - und es erst wieder verlassen zu können, wenn wir jeden einzelnen Felsen und Baumstamm erkundet, hinter die Vorhänge geschaut und uns in den Räumen zurechtgefunden haben. Tatsächlich wird das Gefühl, sich im Werk zu bewegen, statt nur in ihm zu sein, durch die Bewegung des Wassers verstärkt, durch die Existenz undefinierbarer, vorbeitreibender Strukturen (es konnte sich um Betonblöcke, Tischplatten oder Kartons handeln) und durch den Eindruck, dass die Pflanzen leben und wachsen. Auf diese Weise sind die Landschaften von Kühn ausgesprochen zeitgenössisch. Sie bedienen sich des erhabenen Glanzes der Romantik, um visuellen Erfahrungen, die mehr an virtuelle Räume in Computerspielen erinnern, Atmosphäre zu verleihen. Ähnlich wie in diesen rührt das Gefühl der Bewegungsfreiheit in ihren Werken von der Perspektivielfalt in der Komposition her, insbesondere auch bei ihren neuesten Interieurs. In Arbeiten wie Melanie - Melancholie (Abb. S. 51) ist der grundlegende Bildaufbau direkt dem Gemälde des Renaissancemalers Fra Filippo Lippi Madonna mit dem Kind und Szenen aus dem Leben der HI. Johanna von 1452 entlehnt. Die Verzerrung entsteht durch Objekte, die nicht ins Bild passen, wie der Stuhl mit der herzförmigen Lehne, der zweidimensionale Scherenschnitt-Lampenschirm und die Gipsformen, die jeweils aus einer eigenen Perspektive dargestellt sind. Als Kühn die Proportionen von Filippo Lippis Raum rekonstruierte, entdeckte sie, dass dessen Maße eigentlich falsch waren. Diese Erkenntnis, gepaart mit der Faszination für die künstlerische Konvention des Mittelalters, die Bedeutung einer Person über ihre Größe darzustellen, hat die Künstlerin dahingehend beeinflusst, die verschiedenen Objekte in einem Bild aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln zu präsentieren.  ...
Die Beziehung von Susanne Kühn zu ihrer Arbeit - ihr Wunsch nach Kontrolle, das Bedürfnis, sich auf Dinge zu beziehen, die ihr persönlich wichtig sind, der Humor sowie die reine Freude am Malen - offenbaren sich in jedem Sujet und jedem Pinselstrich, mit dem sie sie realisiert. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint, und alles existiert in einer fließenden, offenen Bewegung zwischen Stilen, Genres und Techniken, die zunächst die Tradition anerkennt, um sich dann darüber hinweg in eine räumliche Realität zu begeben, die uneingeschränkt der Künstlerin gehört, Obwohl sich jede Arbeit aus einer eklektischen Auswahl an Objekten, Formen und Malprozessen zusammensetzt, bleiben die Bestandteile autonom und harmonisieren dennoch als Bild mit eigener innerer Logik. Die Bilder speisen sich darüber hinaus aus einer inneren Aufrichtigkeit, denn Kühn sieht sie als das, was sie sind: Farbe auf Leinwand. Ohne Rücksicht malt sie, wozu sie als Künstlerin einen Bezug hat, und erkundet, was sie interessiert, statt sich dem Mainstream zu beugen.

Biografie
  • 1995 Diplom der Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
    1995-1996 Stipendium des DAAD an der School of Visual Arts und Hunter College, New York
    2001-2002 Radcliffe Fellowship Grant, Radcliffe Institute for Advanced Study, Harvard University, Cambridge (USA)
    1995-2002 Arbeit und Studium in New York und Boston
    seit 2015 Professur für Malerei, Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg
    lebt und arbeitet in Freiburg

Einzelausstellungen

  • 2017 Spaziergänge und andere Stories, Augustinermuseum, Freiburg
  • 2016 Susanne Kühn, OMI International Arts Center, Ghent, New York (USA)
    2015 Bank, Galerie Kleindienst, Leipzig
    2014 Welt der wilden Tiere, Beck&Eggeling, Düsseldorf
    2012 Arbeiten auf Papier, Sala Uno, Contemporary Arts Center, Rom
    Städtische Galerie Offenburg
    2011 Garten Eden, Haunch of Venison, London
    2010 Susanne Kühn, Kunstverein Lippe
    Landschaftsstudien, Robert Goff Gallery, New York
    2009 Susanne Kühn, Forum Kunst, Rottweil
    2008 Museum of Contemporary Art, Denver (USA)
    Goff+Rosenthal Berlin
    2007 Susanne Kühn, Kunstverein Freiburg
    Neue Malereien, Goff+Rosenthal, New York
    Zeichnung, Fred (London) Ltd, Leipzig
    2006 Malerei, Galerie Echolot, Berlin
    2005 Fred (London) Ltd, London
    Goff+Rosenthal, New York
    2004 Galerie Echolot, Berlin
    Malerei und Zeichnung, Galerie Kleindienst, Leipzig
    2003 Arbeiten auf Papier, Bill Maynes Gallery, New York
    2002 Reise, Radcliffe Institute, Harvard University, Cambridge (USA)
    2001 Neue Arbeiten, Bill Maynes Gallery, New York
    2000 Zeichnungen, Bill Maynes Gallery, New York
    Recent Paintings, Samek Art Gallery, Bucknell University, Lewisburg, Pa. (USA)
    Drawings, German Consulate House, New York
    1999 Malerei, Bill Maynes Gallery, New York
    1997 Landschaften, Beck & Eggeling, Leipzig

Ausstellungsbeteiligungen

  • 2016 Den Wald vor lauter Bäumen..., Museum Frieder Burda, Baden-Baden
    Ein Baum ist ein Baum ist ein Baum, Beck & Eggeling, Düsseldorf
    2015 Die bessere Hälfte - Malerinnen aus Leipzig, Kunsthalle der Sparkasse, Leipzig
    Autumn, Twilight, Dwelling among Mountains, Kemper Museum, Kansas City
    VOLTA 11, Markthalle, Basel
    2014 Drive the Chance, 100plus, Zürich
    2013 Wahlverwandtschaften, Aktuelle Malerei und Zeichnung aus dem Museum Frieder Burda, Museum Franz Gertsch, Burgdorf (Schweiz)
    Wetterdämmerung - ein Blick zurück, group-show, Sammlung Alison und Peter W. Klein
    Inside, Merkur Art Gallery, Istanbul
    2012 Contemporary German Painting: The Future Lasts Forever, Interalia, Seoul (Südkorea)
    Malerei der ungewissen Gegenden, Kunstverein Frankfurt
    The Observer, Haunch of Venison, London
    Das eigene Kind im Blick. Künstlerkinder von Runge bis Richter, von Dix bis Picasso, Kunsthalle Emden
    salondergegenwart, Hamburg
    2011 Hello. Goodbye. Die Sammlung, Museum für Neue Kunst Freiburg
    The Big Reveal, Kemper Museum, Kansas City (USA)
    2010 Hängung #6, Sammlung Alison and Peter W. Klein, Eberdingen-Nussdorf
    Die Bilder tun was mit mir - Einblicke in die Sammlung Frieder Burda, Kuratoren Patricia Kamp, Jean-Christophe Ammann
    2009 Carte Blanche IX, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig
    2008 Future Tense: Reshaping the Landscape, Neuberger Museum of Art Purchase, New York
    Böhmen liegt am Meer, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
    2007 House Trip, Special Exhibition Art Forum, Berlin
    Neue Malerei. Aus dem Museum Frieder Burda, Baden-Baden, Museum im Prediger,Schwäbisch Gmünd
    2006 Inaugural Exhibition, Goff+Rosenthal, Berlin
    Neue Malerei: Erwerbungen 2002-2005, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
    Dragon Veins, University of South Florida Contemporary Art Museum, Tampa, Fla.
    2005 International Biennale of Contemporary Art, Prag
    2004 EAST International, Norwich Gallery, Norwich (UK)
    Zweidimensionale 2004, Kunsthalle der Sparkasse Leipzig
    INdiVISIBLE SITlES, Bill Maynes Gallery, New York
    2002 Into the Woods, Julie Saul Gallery, New York
    Works on Paper, Bill Maynes Gallery, New York
    Curious Terrain, Elizabeth Harris Gallery, New York
    Postmodern Pastoral, Judy Ann Goldman Fine Art, Boston
    2001 Wet!, Luise Ross Gallery, New York
    Chelsea Rising, Contemporary Arts Center, New Orleans
    Wonderland, Massachusetts College of Art, Boston
    2000 Bildwechsel, Kunstverein Freunde Aktueller Kunst, Städtisches Museum Zwickau
    Art on Paper Annual, Weatherspoon Art Museum, University of North Carolina, Greensboro, N. C. (USA)

Bibliografie

  • 2013 Wahlverwandtschaften - Aktuelle Malerei und Zeichnung aus dem Museum Frieder Burda, Wienand
    2012 Susanne Kühn, WERKE/WORKS 2006 - 2012
    The Future lasts Forever, Contemporary Paintings from Europe, Interalia
    2010 Die Bilder tun was mit mir..., Einblicke in die Sammlung Museum Frieder Burda, Hatje Cantz
    2009 Susanne Kühn, Malerei und Zeichnung, 2007-2009, modo Verlag
    2008 The Upset - Young Contemporary Art, Gestalten Verlag, Berlin
    Müller, Hans-Joachim. Künstler - Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Zeitverlag
    2007 Dragon Veins, University of South Florida Contemporary Art Museum
    2006 Neue Malerei, Erwerbungen 2002-2005, Museum Frieder Burda, Ostfildern
    2005 International Biennale of Contemporary Art, National Gallery, Prag
    2004 EAST International 2004, Norwich Gallery, Norwich School of Art and Design, Norwich
    2001 Chelsea Rising, Contemporary Arts Center New Orleans